Sehr geehrte Damen und Herren,
nach dem perfekten Sturm für europäische Aktien in 2022, sehen wir im bisherigen Börsenjahr eine weitere Erholung und (wie erwartet) eine Outperformance zum Beispiel versus US-Aktien. Damit setzen europäische Aktienmärkte ihre Erholung seit Ende September fort: DAX ca. +25%, STOXX Europe 600 ca. +17%, S&P 500 ca. +12%, NASDAQ +10% (Absolute Return vom 30.9.2022 bis zum 31.1.2023 in Landeswährungen). Der USD ist gegenüber dem Euro in diesem Betrachtungszeitraum um ca. 10% gesunken.
Energiekrise, Ukraine-Krieg, Inflation/Zinsen, Rezessionsangst, China, Lieferketten-Probleme sind alles Beispiele für Themen, die europäische Aktien letztes Jahr überproportional belastet haben und deren aktuelle relative Entspannung nun an den Börsen für Hoffnung sorgt. Zusätzlich geben Zentralbanken Aktien in diesen ersten Wochen des Jahres Rückenwind. Dazu kommt das relativ warme Wetter, das uns weniger Gas verbrauchen lässt.
Diese Out-Performance von europäischen versus amerikanischen Aktien in den letzten Monaten folgt auf eine lange und extreme Under-Performance seit der großen Finanzkrise 2008/09. Es spricht mittel- und langfristig einiges für eine Fortsetzung dieses aktuellen Outperformance-Trends Europas. Insgesamt sehen Bewertungen von Aktien in Europa im historischen Vergleich nicht mehr extrem günstig, aber eben auch nicht teuer aus. US-Aktien sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis, bezogen auf die nächsten 12 Monate, von 18x bewertet und europäische Aktien mit 13x. Ein stärkeres globales Wachstum kommt exportorientierten europäischen Aktienindizes überproportional zugute, während höhere Zinsen die wachstumsstarken US-Tech-Aktien stärker belasten. Auch die Zuflüsse in europäische Aktien in den letzten Monaten könnten, nach einer jahrelangen Unterinvestition, erst der Anfang sein.
Zu beachten ist hierbei allerdings, dass wir in Europa weiter eine große Varietät von Bewertungsniveaus sehen. Man muss sich aktuell wirklich jede Aktie, jedes Unternehmen im Detail ansehen. Wie gehen wir hier vor? Wenn wir Unternehmen anschauen, dann schauen wir auf das Bewertungsniveau vor COVID, ziehen ein wenig etwas ab, da höhere Zinsen und weniger Liquidität auf die Bewertungen drücken, und dann müssen wir eine Einschätzung über das zukünftige Gewinn- und Cashflow-Profil gegen die aktuelle Markterwartung abwägen.
Es bleibt allerdings Vorsicht geboten: Es ist nach wie vor keinesfalls sicher, ob wir die Tiefs in diesem Zyklus schon gesehen haben - trotz der weiteren Normalisierung von Wirtschaft und Zinsen sowie trotz der guten Aktienkursentwicklung in den letzten Monaten. Wir sehen nach wie vor noch erhebliche Risiken und bleiben auch daher Qualitätsaktien treu. Denn eine niedrige Bewertung alleine ist kein gutes Argument für ein Investment: Einige Unternehmen sehen zwar oberflächlich günstig aus, aber wenn man näher hinschaut, dann wird entweder ein COVID-Rekord weitergeschrieben oder es gibt andere hohe Risiken für die zukünftige Gewinnsituation. Neben dem Bewertungsniveau sind auch, wie an dieser Stelle in den letzten Monaten mehrfach erwähnt, die Margen und Gewinne in Gefahr – wo werden diese nach den Jahren des Ausnahmezustandes und bei einem geringeren Wirtschaftswachstum sowie höheren Zinsen landen? Ukraine-Krieg und China bleiben dazu überproportionale Risiken für Europa.
Der Fokus unserer täglichen Arbeit liegt momentan auf der aktuellen Unternehmens-Reporting/Season für das letzte Quartal 2022 und den entsprechenden Ausblicken. Wir sehen auch hier eine weitere Normalisierung - zum Beispiel von Lieferketten, Logistikkosten oder Lieferrückständen. Die Welt wird nach und nach wieder etwas normaler. Im Fokus stehen, neben der Umsatzentwicklung, vor allem die Gewinnspannen und in einigen Branchen das Auftragsbuch sowie die Entwicklung des Lieferrückstandes. Auch auf Umsatzebene sehen wir Normalisierung: Einige der Gewinner der letzten Jahre sehen, von einem sehr hohen Niveau, schwächeres Umsatzwachstum, aber noch keine Krise. Dagegen sehen wir zum Beispiel bei Reiseanbietern weiter sehr stark steigende Umsätze und nach wie vor sehr wenig Preis-Elastizität bei den Kunden. Alles Entwicklungen im Rahmen des Erwarteten. Vor allem in der Industrie sehen wir vielerorts nach wie vor sehr volle Auftragsbücher mit entsprechendem Lieferrückstand. Doch auch das normalisiert sich nunmehr langsam von einem sehr hohen Niveau.
Die Gewinnspannen waren in einigen Branchen in den letzten Jahren sehr hoch. Auch das muss sich Normalisieren: Druck kommt hierbei unter anderem von mehr Preissensitivität der Kunden. Auch der Produktmix normalisiert sich, da Unternehmen nicht mehr nur ihre Produkte mit den höchsten Margen verkaufen können. Beispiele hierfür sind Autos und Halbleiter. Weiterer Druck auf die Gewinnmargen kommen von der hohen Inflation und natürlich vom Lohnwachstum. Dafür sind Rohstoff-, Energie und Logistikkosten oftmals niedriger als noch vor ein paar Monaten. Dazu kommen niedrigere Preise und Wartezeiten bei Bauteilen, wie Halbleitern. Auch daher sehen wir bei einigen Unternehmen im Portfolio, nach einiger Krisenzeit, wieder erholte Gewinnmargen. Es gibt hier also nicht nur Verlierer. Die beschriebene Normalisierung kann positiv und negativ auf Gewinne wirken. Das USD/Euro-Verhältnis spielt dazu weiter eine zentrale Rolle. Höhere Finanzierungskosten sind bei unseren Portfoliounternehmen zumeist kein großes Problem. Wir legen in unserem Financial Scoring Model im Rahmen der Aktienvorauswahl einen Fokus auf starke Bilanzen. Starke Bilanzen sind generell häufig ein Merkmal von Familienunternehmen (lesen Sie hier mehr dazu). Auch die mehr und mehr publizierten Entlassungen von COVID-Gewinnern zeigt die aktuelle Normalisierung deutlich auf. Doch wird der Arbeitsmarkt sowohl in den USA, als auch in Europa wohl noch eine Weile angespannt bleiben – von den diesbezüglichen strukturellen Problemen in Europa einmal abgesehen. Lohninflation kommt in einem Inflationszyklus typischer und logischer Weise in der Regel spät und bleibt dafür am längsten bestehen.
Im aktuellen Portfolio unseres aktiv verwalteten Aktienfonds CONREN FCP – Generations Family Business Equity haben bisher ca. 50% der Unternehmen berichtet oder vorab-berichtet. 75% dieser Unternehmen haben positive Zahlen vorgestellt und Märkte positiv überrascht. Auch der Ausblick bleibt vielerorts gut. Diese Aktienkurse haben entsprechend positiv reagiert. 25% haben nicht so gute Zahlen vorgelegt bzw. in der Regel leicht enttäuscht.* Aktienkurse haben in dieser Gruppe teilweise positiv und teilweise negativ reagiert. (Disclaimer: Die Zahlen beziehen sich auf die Vergangenheit. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein verlässlicher Indikator für zukünftige Ergebnisse.)
Bisher gab es lediglich zwei größere Enttäuschungen: Ein Portfoliounternehmen hat zwar mit Rekordumsätzen die Umsatzerwartungen der Marktteilnehmer weit übertroffen, aber mit einem sehr niedrigen Gewinn. Vor allem die aufgrund des Mangels an Fachkräften kurzfristig herangezogenen teuren externen Dienstleister und größere IT-Probleme haben zu erheblichen Mehrkosten geführt. In einem anderen Fall hat ein Portfoliounternehmen zwar sehr gute Zahlen für 2022 und auch einen starken Ausblick für 2023 vorgelegt, warnte aber gleichzeitig vor einer fälligen Normalisierung ab 2024. Beide Aktien wurden mit größeren Kursrückschlägen bestraft.
Wir sehen, dass Märkte insgesamt mit einer wesentlich besseren Stimmung auf die Unternehmenszahlen blicken – auch bei der Stimmung hilft die Wiedereröffnung Chinas und der warme Winter sowie weniger aggressiv auftretende Notenbanken. Die Marktteilnehmer schöpfen wieder Hoffnung. Die Gewinner am Aktienmarkt im bisherigen Jahr sind Aktien in den Bereichen Immobilien, IT und diskretionäre Konsumgüter. Die Verlierer sind Energie und Gesundheit.
Wir sehen also nach wie vor zwei Welten: Unternehmen und Bottom-Up-Analysten bleiben weitgehend positiv und gehen von ungefähr stabilen Gewinnen in diesem Jahr aus. Dagegen sehen Top-down-Analysten, also Marktanalysten, die sich mehr mit den ökonomischen Entwicklungen als mit einzelnen Unternehmen beschäftigen, vielerorts zweistellige Gewinneinbußen. Schauen wir ins Portfolio, so ist bisher in vielen Unternehmenszahlen unterm Strich noch keine große Krise zu sehen.
Der Weg dieser Normalisierung könnte weiterhin volatil sein. Auch daher ist es, wie gesagt, keinesfalls sicher, dass wir die Tiefstkurse in diesem Zyklus schon gesehen haben. Wir dürfen gleichzeitig nicht vergessen, dass Aktien klassischerweise einen großen Teil ihrer Performance eines Bullenmarktes in den ersten 12 Monaten nach den Börsentiefs erzielen. Daher sehen wir immer wieder Bärenmarktrallyes. Der Markt will das nicht verpassen und testet immer wieder, ob die Zeit gekommen ist.
Mit herzlichen Grüßen
Andreas Lesniewicz Laura Prina Cerai, CFA
*Die Performance-Fee orientiert sich an einer Benchmark (MSCI Europe Net Total Return Index (Euro), wobei das Anlageuniversum des Fonds nicht auf die Bestandteile dieses Indexes beschränkt ist.
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