Guten Tag,
wer sich von einem Lieferanten abhängig macht, geht ein Risiko ein – dieser Grundsatz gehört in der Wirtschaft zum Basiswissen. Hat man es aber mit einem Staat zu tun, der seine Opposition brachial unterdrückt und seine Nachbarn militärisch bedroht, wird die Geschäftsbeziehung zum außenpolitischen Vabanque. Wie genau das aussieht, lässt sich derzeit an Deutschlands peinlicher Verzagtheit im Ukraine-Russland-Konflikt beobachten: Ohne das Gas aus Russland müssten die Deutschen frieren – damit ist Deutschland erpressbar.
Warum diese Abhängigkeit vom russischen Gas eigentlich so groß ist, hat die Zeit recherchiert: Die zentrale Figur ist Gerhard Schröder, der schon als Bundeskanzler beste Kontakte zu Wladimir Putin pflegte und seither als Gaslobbyist in dessen Diensten tätig ist. Wie die Recherche aufzeigt, hat das „System Schröder“ Ableger gebildet: Viele von Schröders früheren Ministern und Staatssekretären wechselten demnach geschmeidig zwischen Politik und lukrativen Lobbyjobs in der Energiewirtschaft.
Dazu gehört auch Dieter Haller, ehemaliger deutscher Botschafter und Schröder-Gefolgsmann. Wie die Bild Ende Januar aufgedeckt hatte, hätte Haller seinen neuen Job als Aufsichtsratsvorsitzender der Nord-Stream-2-Tochter „Gas for Europe“ gar nicht annehmen dürfen. Trotz des Verbots soll er zunächst stumpf weiter für die Firma gearbeitet haben. Inzwischen hat er den Posten aber niedergelegt.
Dafür setzen sich andere SPD-Politiker weiter für Russlands Interessen ein, etwa Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Eine Recherche von t-online hat eine Serie geheimer Deals und Gespräche öffentlich gemacht, die den Eindruck vermittelt, Schwesigs Landesregierung verschleiere regelrecht ihre Kontakte zu Unterhändlern der russischen Energiewirtschaft.
Wenn der Gasmann zweimal klingelt ( Zeit, € )
Deutscher Ex-Diplomat will Nord-Stream-Posten behalten ( Bild)
Schwesigs Russland-Geheimnis ( t-online)
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre,
Ihre Gabriela Keller
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Auf kommunaler Ebene sind die Wege kurz und die Verstrickungen zwischen Politik und Wirtschaft oft schwer durchschaubar – das zeigt auch eine aktuelle CORRECTIV-Recherche: Die Stadtwerke Leipzig investieren für die Energiewende in ihre eigene IT. Das bringt Millionenaufträge mit sich, die der Konzern aber nicht ausschreiben will. Ein Teil der lukrativen Deals landet bei der Firma eines CDU-Politikers, der zugleich im Aufsichtsrat der Stadtwerke sitzt. Solche Überschneidungen sind keine Ausnahme. Im Aufsichtsrat kommunaler Ebenen sitzen oft Menschen aus der Lokalpolitik. Wenn sie allerdings zugleich als Unternehmer profitieren, wirft die Gemengelage den Verdacht der Günstlingswirtschaft auf.
Kommunale Auftragsvergabe: Ein undurchsichtiger Fall bei den Stadtwerken Leipzig (CORRECTIV)
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Wirkungsloses Abholz-Verbot
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Agrarkonzerne und Tierfutterhersteller behaupten, dass Soja nichts mehr mit der Zerstörung des Regenwaldes zu tun habe. Schließlich verbietet das Soja-Memorandum seit 2008 den Verkauf von Soja, das auf abgeholzten Regenwaldflächen gewachsen ist. Tatsächlich ging das Ausmaß der Vernichtung am Amazonas bis 2012 zunächst um 84 Prozent zurück. Wie das Bureau of Investigative Journalism mit dem Guardian, El Pais und dem Greenpeace-Projekt Unearthed recherchiert hat, greift das Memorandum aber längst nicht mehr. Denn die Soja-Bauern nutzen Schlupflöcher. In der Folge wurden in den vergangenen zehn Jahren rund 1000 Quadratkilometer Regenwald gefällt, um Platz für Sojafelder zu schaffen.
'Deforestation-free' Soya Fans still Tearing down the Amazon (Bureau of Investigative Journalism)
‘Loophole’ allowing for deforestation on soya farms in Brazil’s Amazon ( Guardian)
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Cum-Ex: Schwachstellen im System
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Der Cum-Ex-Skandal sorgt auf europäischer Ebene nach wie vor für Magenschmerzen: Wie CORRECTIV-Chefredakteurin Olaya Argüeso-Pérez vergangene Woche in einem Twitter-Thread erklärte, hat sich der Ausschuss für Wirtschaft und Währung im Europaparlament nun mit einem Bericht befasst, der die CORRECTIV-Recherchen zu den CumExFiles 2.0 bestätigt und dieselben Schwachstellen im Steuersystem ausleuchtet. Die Frage ist nur, wie dem Steuerraub künftig ein Riegel vorgeschoben werden kann. Was genau Cum-Ex-Deals sind, und warum sie die gesamte Gesellschaft betreffen, erklärt auch ein neues CORRECTIV-Video.
Cum-Ex: So stehlen skrupellose Banker dein Geld (CORRECTIV)
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Teuer und auch noch schlecht
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Als die Masken-Deals der Schweizer Firma Emix Trading aufflogen, war die Empörung groß: Zu Beginn der Corona-Krise wurden die Masken chinesischer Hersteller zur enorm hohen Preisen nach Nordrhein-Westfalen, Bayern und an den Bund verkauft. Vermittelt wurden die Geschäfte von Andrea Tandler, Tochter des langjährigen CSU-Generalsekretärs Gerold Tandler. Sie erhielt dafür Millionenprovisionen, die sie möglicherweise nicht einmal korrekt versteuerte. Nun belegen Recherchen des Bayerischen Rundfunks: Die Masken waren offenbar auch noch teilweise von miserabler Qualität. Sie sollen teils ungenügend und zu spät kontrolliert an Krankenhäuser, Ärzte und Ärztinnen verteilt worden sein.
Kaum geprüft, trotzdem verteilt ( tagesschau.de)
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Unkontrollierte Sanktionen
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Auch die Welt beschäftigt sich in einer aktuellen Recherche mit der Verstrickung der deutschen Wirtschaft in den Russland-Ukraine-Konflikt: Acht Jahre nach der Annexion der Krim will Russland dem Gebiet ein eigenes Wirtschaftsleben einhauchen. Davon scheinen auch deutsche Firmen zu profitieren. Das dürfen sie zwar nicht – die EU-Sanktionen regeln das sehr genau. Trotzdem gibt es Hinweise darauf, dass deutsche Technologie den russischen Infrastruktur-Projekten auf der Krim voranhilft. Sind die Sanktionen also nur ein Papiertiger? Wie die Recherche belegt, kontrolliert niemand die Einhaltung und Verstöße werden nicht geahndet.
Die Rolle deutscher Technik bei Putins Plänen für die Krim ( Welt, €)
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Tech-Lobby torpediert Verbot
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Risiken für die Privatsphäre, Manipulation, massenhaftes Datensammeln, Diskriminierung: Es gibt viele Gründe, die gegen überwachungsbasierte oder personalisierte Werbung sprechen. Deshalb wollte das Europäische Parlament eigentlich ein Verbot erreichen. Aber daraus wurde nichts. Wie die Initiative Corporate Europe und Lobbycontrol aufzeigen, hatten Tech-Konzerne wie Google und Facebook gemeinsam mit der Verleger- und Einzelhandelskampagne den parlamentarischen Vorstoß torpediert. Offenbar hatten die Branchenlobbys systematisch und forciert Zweifel an der Notwendigkeit eines Verbots gesät.
Wirtschaftslobby schwächt EU-Vorstoß gegen personalisierte Werbung ab ( Lobbycontrol)
How corporate lobbying undermined the EU’s push to ban surveillance ads ( Corporateeurope.org)
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Eine eigene, private Stadt, bewohnt nur von einer besonderen Klientel, freier und profitorientierter als die herkömmlichen Metropolen, und das ohne lästige demokratische Prinzipen, geregelt nur durch den Markt – so sieht die Utopie einiger libertärer Unternehmer aus. Wie die Frankfurter Rundschau recherchiert hat, hat die Atlas-Initiative des Degussa-Geschäftsführers Markus Krall bereits ein ziemlich konkretes Konzept ausgearbeitet und nach Angaben der Organisatoren bereits Verträge mit kleinen und schwachen Staaten über das Territorium ausgehandelt.
Freie Städte – exklusiv und antidemokratisch ( Frankfurter Rundschau)
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Werbung in seltsamen Sphären
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Telegram hat sich bislang vor allem als Plattform für Hetze und Verschwörungstheorien einen Namen gemacht. Jetzt will der Messengerdienst an das große Werbegeld, wie netzpolitik.org recherchiert hat. Die Strategie werfe jedoch Fragen auf. Denn wer Anzeigen schalten will, soll dafür mindestens zehn Millionen Euro pro Jahr ausgeben. Seltsam sind auch die Regeln, die Telegram aufstellen will: Werbetreibende können zwischen Themen wie Haustiere, Sport oder Musik wählen. Dagegen dürfen Pornographie, Waffen oder Fast Food nicht beworben werden. Auf Rückfragen dazu antwortete Telegram nicht.
Telegrams eigenartiger Versuch Geld zu verdienen ( netzpolitik.org)
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Gabriela Keller
Investigativ-Reporterin
Ich freue mich, mein Interesse an sozialer Ungerechtigkeit, Interessenkonflikten und Lobbyismus mit Ihnen zu teilen. Sie haben Hinweise, Anmerkungen oder Kritik? Dann schreiben Sie mir gerne eine E-Mail.
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Recherchen für die Gesellschaft
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